Kapitel 4: Wir Agnostiker

In den vorhergehenden Kapiteln haben Sie einiges über Alkoholismus gelernt. Wir hoffen, daß wir den Unterschied zwischen einem Alkoholiker und einem Nichtalkoholiker klargemacht haben. Wenn Sie merken, daß Sie nicht mit dem Trinken aufhören können, obwohl Sie es aufrichtig wünschen, oder wenn Sie beim Trinken kaum Kontrolle über die Menge haben, dann sind Sie möglicherweise Alkoholiker. Wenn das der Fall ist, werden Sie wahrscheinlich schon unter der Krankheit zu leiden haben, einer Krankheit, die nur durch eine spirituelle Erfahrung überwunden werden kann.

Für einen, der sich als Atheist oder Agnostiker fühlt, scheint eine solche Erfahrung unmöglich zu sein. Andererseits: So weiterzumachen wie bisher [to continue as he is], bedeutet seinen Untergang [disaster], besonders wenn er ein Alkoholiker von der hoffnungslosen Sorte ist. Zur Hölle des Alkoholismus verdammt zu sein oder sich "retten" zu lassen - es ist nicht leicht, diesen Alternativen ins Auge zu schauen. [Später geändert in: Die Entscheidung zwischen dem sicheren Tod durch Alkohol und einem Leben auf spiritueller Grundlage ist nicht immer leicht zu treffen.]

Aber so schwierig ist das gar nicht. Zu Anfang gehörte etwa die Hälfte unserer Freunde zu eben dieser Gruppierung. Einige von uns versuchten zunächst, die Entscheidung zu umgehen. Wider besseres Wissen hofften wir, keine echten Alkoholiker zu sein. Nach einiger Zeit mußten wir jedoch der Tatsache ins Auge sehen, daß wir eine spirituelle Grundlage finden mußten - oder es war aus. Wahrscheinlich wird es dir auch so gehen. Kopf hoch, auch wenn der Hals schwarz ist. Ungefähr fünfzig von uns dachten, sie seien Atheisten oder Agnostiker. Unsere Erfahrung zeigt, daß du nicht zu verzagen brauchst.

Wenn lediglich hehre, moralische Verhaltensregeln oder eine bessere Lebensphilosophie ausreichen würden, um mit dem Alkoholismus fertig zu werden, wären viele von uns schon vor langer Zeit genesen. Aber wir mußten erkennen, daß solche Verhaltensregeln und Philosophien uns nicht retten konnten, gleich wie auch immer wir es versuchten. Wir konnten uns noch so sehr wünschen, moralisch zu sein und in der Philosophie Trost zu finden, Tatsache war, wir konnten das mit ganzer Macht wollen, aber die benötigte Kraft war nicht da. Unsere menschlichen Kraftquellen, vom Willen beherrscht, reichten nicht aus, sie versagten vollkommen.

Mangel an Kraft - das war unser Dilemma. Wir mußten eine Kraft finden, durch die wir leben konnten, und es mußte eine Kraft, größer als unser Ich, sein. Offensichtlich - genau das war es. Aber wo und wie sollten wir diese Höhere-Kraft finden?

Darum geht es in diesem Buch. Sein wichtigstes Anliegen ist es, dich in die Lage zu versetzen, daß du eine Kraft finden kannst, die größer ist als dein Ich, und die dir hilft, deine Probleme zu lösen. Das heißt, wir haben ein Buch geschrieben, von dem wir glauben, daß es sowohl spirituell als auch moralisch ist. Und das bedeutet selbstverständlich, daß wir über Gott sprechen werden. Dabei ergeben sich für die Agnostiker Schwierigkeiten. Oft sprechen wir mit einem neuen Freund und erleben, wie seine Hoffnung wächst, während wir über seine Alkoholprobleme sprechen und ihm unsere Gemeinschaft [fellowship] erklären. Aber sein Gesicht wird lang, wenn wir von spirituellen Angelegenheiten reden, besonders wenn wir Gott erwähnen. Wir haben etwas auf den Tisch gebracht, von dem unser Freund glaubt, er hätte es geschickt umgangen oder völlig ignoriert.

Wir können es ihm nachfühlen. Auch wir hatten diese ehrlichen Zweifel und Vorurteile. Einige von uns waren in aggressiver Weise antireligiös [violently anti-religious]. In anderen rief das Wort "Gott" den Gedanken an einen Kinderschreck wach, mit dem manche Leute versucht hatten, uns während der Kindheit an der Kandarre zu halten. Vielleicht lehnten wir diese bestimmte Überzeugung deshalb ab, weil sie uns unangemessen erschien. Wir bildeten uns ein, daß wir mit dieser Zurückweisung den Gottesgedanken völlig aufgegeben hätten. Uns beunruhigte die Idee, daß der Glaube und die Abhängigkeit von einer Kraft jenseits unserer Ich-Begrenztheit etwas Schwaches oder gar Feiges wären. Wir schauten mit tiefem Mißtrauen auf diese Welt streitender Menschen, sich bekämpfender theologischer Systeme und unerklärlichen Elends. Argwöhnisch betrachteten wir jene, die das Göttliche für sich in Anspruch nahmen. Wie konnte ein Höchstes Wesen [Supreme Being] überhaupt mit all dem etwas zu tun haben? Und wer konnte überhaupt die Existenz eines Höchsten Wesens begreifen? Aber in anderen Momenten, etwa wenn wir von einer sternklaren Nacht beeindruckt waren, kam uns der Gedanke: "Wer hat das alles geschaffen?" Ein Gefühl von Ehrfurcht und Staunen überkam uns, aber das war flüchtig und bald vergessen.

Ja, das waren die Gedanken und Erfahrungen von uns Agnostikern. Doch wir können dich schnell beruhigen. Sobald wir die Vorurteile beiseiteschoben und wenigstens unsere Bereitwilligkeit zum Ausdruck brachten, an eine Kraft, größer als unser Ich, zu glauben, erzielten wir bereits erste Resultate, obwohl es uns allen unmöglich war, diese Kraft, die Gott ist, umfassend zu erklären oder zu verstehen. Sehr zu unserer Beruhigung entdeckten wir, daß wir die Überzeugung, die andere von Gott hatten, nicht zu teilen brauchten. Unsere eigene Überzeugung - wie unzureichend auch immer - genügte, um Ihm näher zu kommen und eine Verbindung zu Ihm herzustellen. Sobald wir die mögliche Existenz einer Schöpferischen Intelligenz, eines Geistes im Universum - als Grundlage aller Dinge - anerkannten, begann ein neuer Sinn der Kraft und Führung von uns Besitz zu ergreifen, vorausgesetzt daß wir noch andere simple Schritte unternahmen. Wir spürten, daß Gott es denen, die Ihn suchen, nicht zu schwer macht. Für uns ist die spirituelle Sphäre [Realm of Spirit] weit, unermeßlich, allumfassend; niemals von einem Alleinvertretungsanspruch oder von Verboten eingeschränkt [never exclusive or forbidding]. Sie steht allen Menschen offen, wie wir glauben.

Wenn wir also mit dir über Gott sprechen, meinen wir deine eigene Vorstellung [conception] von Gott. Das trifft auch auf andere spirituelle Ausdrücke in diesem Buch zu. Auch wenn du Vorurteile gegen spirituelle Worte und Begriffe hast, laß dich davon nicht abhalten, sondern frage dich ehrlich, was sie für dich bedeuten. Am Anfang ist das alles, was du brauchst, um mit dem spirituellen Wachstum zu beginnen und den ersten bewußten Kontakt zu Gott, wie du Ihn verstehst, herzustellen. Später wirst du viele Dinge akzeptieren können, die jetzt außerhalb deiner Reichweite zu liegen scheinen. Das ist Wachstum. Aber wenn du wachsen willst, mußt du irgendwo damit anfangen. Also nutze ruhig dein eigenes Konzept, wie begrenzt es auch sein mag.

Du mußt dir nur eine kurze Frage stellen: "Glaube ich oder bin ich wenigstens bereit zu glauben, daß es eine Kraft gibt, die größer ist als mein Ich?" Sobald einer von sich sagen kann, daß er glaubt oder willens ist zu glauben, versichern wir ihm nachdrücklich, daß er auf dem richtigen Weg ist. Es hat sich unter uns wiederholt erwiesen, daß auf diesen simplen Eckstein eine wunderbar wirksame spirituelle Lebensstruktur aufgebaut werden kann.

Das waren großartige Neuigkeiten (great news) für uns, denn wir hatten gemeint, wir könnten uns keine spirituellen Grundsätze zu eigen machen, ehe wir nicht viele Glaubensdinge akzeptierten, die uns schier unglaublich erschienen. Wenn andere uns ihre spirituelle Entwicklung vorlebten, wie oft sagten wir dann: "Hätte ich nur das, was dieser Mensch hat! Ich bin sicher, es würde klappen, wenn ich so glauben könnte wie er. Aber ich kann die vielen Glaubenssätze [articles of faith], die für ihn so klar sind, nicht als volle Wahrheit annehmen." Es war tröstlich zu erfahren, daß wir auf einer viel simpleren Ebene anfangen konnten.

Neben unserer offensichtlichen Unfähigkeit, etwas auf Treu und Glauben einfach (von anderen) entgegenzunehmen, standen uns oft Eigensinn, Empfindlichkeit und unbedachtes Vorurteil im Weg. Viele von uns waren so überempfindlich, daß sogar die beiläufige Erwähnung spiritueller Dinge sie in Harnisch brachte. Diese Denkweise mußten wir aufgeben. Obwohl sich einige von uns sträubten, gab es keine großen Schwierigkeiten, solche Gefühle über Bord zu werfen. Angesichts der Verwüstungen, die der Alkohol in unserem Leben angerichtet hatte, waren wir bald spirituellen Dingen gegenüber ebenso aufgeschlossen, wie wir es bei anderen Dingen schon versucht hatten zu sein. In dieser Hinsicht war Alkohol von großer Überzeugungskraft. Wir bezogen quasi so lange von ihm Prügel, bis wir schließlich zur Vernunft kommen mußten [It finally beat us into a state of reasonableness]. Manchmal war das ein langwieriger Prozeß; wir hoffen, daß kein anderer so lange voller Vorurteile bleibt wie einige von uns.

Der Leser mag immer noch fragen, warum er an eine Kraft, größer als sein Ich, glauben soll. Wir meinen, daß es gute Gründe dafür gibt. Einige davon wollen wir uns mal ansehen.

Der praktische Mensch von heute schwört auf Tatsachen und Ergebnisse. Gleichwohl akzeptiert das zwanzigste Jahrhundert bereitwillig alle möglichen Theorien, wenn sie nur auf förmlichen Tatsachen beruhen. Beispielsweise gibt es zahlreiche Theorien über die Elektrizität, an denen niemand auch nur ein bißchen zweifelt. Warum diese bereitwillige Annahme [acceptance]? Weil es einfach unmöglich ist zu erklären, was wir sehen, fühlen, auslösen und benutzen, ohne von einer vernünftigen Vermutung auszugehen. [Beispielsweise vermuten wir - mit oder ohne Kenntnis der höheren Physik -, daß das Licht angehen wird, sobald wir am Schalter drehen.]

Heutzutage vertraut jeder in vieler Hinsicht dem Augenschein, ohne daß es für alles eines sichtbaren Beweises bedarf. Und zeigt die Wissenschaft nicht, daß der sichtbare Beweis der schwächste ist? Ständig zeigt sich bei Erforschung der materiellen Welt, daß der äußere Anschein in keiner Weise der inneren Wirklichkeit entspricht. Dafür ein Beispiel:

Ein gewöhnlicher Stahlträger enthält Massen von Elektronen, die mit unheimlicher Geschwindigkeit umeinanderwirbeln. Diese winzigen Körper gehorchen genauen Gesetzen, die für die ganze materielle Welt gültig sind. Die Wissenschaft lehrt es uns. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln. Wenn uns jedoch die vollkommen logische Vermutung präsentiert wird, daß es hinter der materiellen Welt und dem materiellen Leben, so wie wir es sehen, eine allmächtige, führende, schöpferische Intelligenz gibt, meldet sich unser verdrehtes Denken und widerspricht. Wir gehen emsig daran, uns zu beweisen, daß es nicht so ist. Wir lesen dicke Bücher und ergehen uns in windigen Streitereien in der Annahme, das Universum brauche keinen Gott zu seiner Erklärung. Wären unsere Behauptungen wahr, würde sich daraus ergeben, daß das Leben aus dem Nichts entstanden ist, keine Bedeutung hat und nirgendwohin führt.

Anstatt uns selbst als intelligente Helfer und Mitstreiter in Gottes ewig fortschreitender Schöpfung zu betrachten, wollten wir Agnostiker und Atheisten glauben, daß unsere menschliche Intelligenz das letzte Wort behielt, daß sie das Alpha und das Omega, Anfang und Ende von allem war. Ziemlich großspurig, nicht wahr?

Wir, die wir diesen dubiosen Weg beschritten und hinter uns gebracht haben, bitten dich, alle Vorurteile beiseitezulassen, sogar die gegen religiöse Organisationen. Wir haben gelernt, daß der Glaube, wie groß auch immer die menschliche Unzulänglichkeit der Religionen sein mag, Millionen von Menschen Lebenssinn und Richtung gegeben hat. Gläubige Menschen haben eine schlüssige Überzeugung [logical idea], worum es im Leben geht. Wir hatten überhaupt keine. Wir machten uns noch einen Spaß daraus, spirituelle Überzeugungen anderer und darauf fußendes Handeln in spöttischer und zynischer Weise zu zerpflücken, während wir besser zur Kenntnis genommen hätten, daß viele spirituell orientierte Menschen aller Rassen, Farben und Bekenntnisse einen Grad von Stabilität, Zufriedenheit und Nützlichkeit aufzuweisen hatten, den wir selbst hätten anstreben sollen.

Statt dessen sahen wir die menschlichen Schwächen dieser Leute, und manchmal benutzten wir ihre Unzulänglichkeiten als Grund zur Pauschalverurteilung. Wir sprachen von Intoleranz, waren aber selbst intolerant. Uns entging die Wirklichkeit und Schönheit des Waldes, weil wir uns von der Häßlichkeit einiger seiner Bäume ablenken ließen. Nie schenkten wir der spirituellen Seite des Lebens in fairer Weise Gehör.

In den Geschichten, die folgen, wirst du sehen wie weit gefächert die Wege waren, auf dem sich die Erzähler einer Kraft, die größer ist als ihr Ich, nähern und von ihr überzeugt werden. Ob du mit einem bestimmten Weg oder einer Überzeugung übereinstimmst oder nicht, scheint ziemlich egal zu sein. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß wir uns um diese Dinge - für unseren Zweck - keine Sorgen machen müssen. Das sind Fragen, die jeder einzelne für sich selbst beantworten muß.

In einem jedoch sind sich diese Männer und Frauen auffallend einig. Jeder einzelne von ihnen hat Zugang gefunden zu einer Kraft, größer als sein Ich, und glaubt an sie. Diese Kraft hat in jedem Fall das Wunderbare, das menschlich Unmögliche vollbracht. Wie es ein berühmter amerikanischer Staatsmann ausdrückte: "Lassen Sie uns die (schriftlich fixierten) Fakten betrachten."

Hier ist die Rede von einhundert Männern und Frauen, die mitten im Leben stehen. Sie erklären klipp und klar, seit sie zum Glauben an eine Kraft - größer als ihr Ich - kamen, seit sie eine bestimmte Einstellung zu dieser Kraft haben und einige bestimmte, simple Dinge tun, hat es eine revolutionäre Veränderung in ihrer Art zu leben und zu denken gegeben. Sie erzählen dir, daß sie angesichts von Zusammenbruch und Verzweiflung, angesichts des totalen Versagens ihrer menschlichen Hilfsmittel, eine neue Kraft, Frieden, Glück und einen neuen Lebenssinn in sich einströmen fühlten. Das geschah bald, nachdem sie ganzen Herzens einige einfache Bedingungen erfüllt hatten. Einst durcheinander und verwirrt durch die scheinbare Sinnlosigkeit ihrer Existenz, sind sie heute ein Beweis für die tiefer liegenden Gründe, warum sie sich im Leben so schwer taten. Sie erzählen, warum ihr Leben so unbefriedigend war, ganz abgesehen vom Trinkproblem. Sie werden dir zeigen, wie die Verwandlung über sie gekommen ist. Wenn einhundert - dir sehr ähnliche - Leute sagen können, daß das Bewußtsein der Gegenwart Gottes heute die wichtigste Tatsache in ihrem Leben ist, präsentieren sie dir damit einen überzeugenden Grund, warum auch du Glauben haben solltest.

Unsere Welt hat in den letzten hundert Jahren mehr materiellen Fortschritt gemacht als in den Tausenden von Jahren davor. Die Gründe dafür sind allgemein bekannt. Historiker, die sich mit der Geschichte des Altertums intensiv befaßt haben, sagen uns, daß die Menschen jener Tage ebenso intelligent waren wie die besten von heute. Trotzdem ging der materielle Fortschritt in früherer Zeit schmerzlich langsam vonstatten. Der Geist moderner, wissenschaftlicher Untersuchungen, Forschung und Erfindung war nahezu unbekannt. Im materiellen Bereich war der menschliche Geist gefesselt durch Aberglauben, Tradition und vielerlei fixe Ideen. Zeitgenossen von Columbus war die Vorstellung einer runden Erde geradezu absurd. Andere wieder hätten Galilei fast hingerichtet wegen seiner astronomischen Ketzerei.

Aber stelle dir folgende Frage: Sind nicht einige von uns genauso voreingenommen und unvernünftig, was den spirituellen Bereich angeht, wie es unsere Vorfahren im materiellen Bereich waren? Selbst in diesem Jahrhundert hatten amerikanische Zeitungen Angst, den Bericht über den ersten erfolgreichen Flug der Gebrüder Wright bei Kittyhawk zu drucken. Waren denn nicht alle Flugversuche zuvor fehlgeschlagen? War nicht Professor Langleys absurde Flugmaschine auf dem Grunde des Potomac-Flusses gelandet? War es nicht so, daß die besten mathematischen Gehirne bewiesen hatten, daß der Mensch niemals würde fliegen können? Hatten die Menschen nicht gesagt, daß Gott dieses Vorrecht den Vögeln vorbehalten hätte? Nur dreißig Jahre später war die Eroberung der Luft fast eine alte Geschichte und waren Flugreisen in vollem Schwange.

Auf den meisten Gebieten hat unsere Generation eine totale Befreiung des Denkens miterlebt. Zeige einem Hafenarbeiter in der Sonntagsbeilage einer Zeitung den Artikel über Pläne, den Mond mit einer Rakete zu erforschen, und er wird sagen: "Ich wette, sie schaffen es - und vielleicht dauert es auch gar nicht mehr so lange." Ist es nicht bezeichnend für unser Zeitalter, mit welcher Leichtigkeit wir alte Ideen gegen neue austauschen, wie schnell wir bereit sind, unbrauchbar gewordene Theorien und Erfindungen auszuwechseln gegen neue, die funktionieren?

Wir mußten uns fragen, warum wir bei unseren menschlichen Problemen nicht die gleiche Bereitschaft aufbringen sollten, unsere Ansicht zu ändern. Wir hatten Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen, wir konnten unsere Gefühlswelt nicht kontrollieren. Wir waren die Beute von Trübsal und Depressionen, wir waren lebensuntüchtig, wir hatten ein Gefühl der Nutzlosigkeit, wir waren voller Angst, wir waren unglücklich. Es schien, daß wir keine echte Hilfe für andere Leute sein konnten. War nicht eine grundsätzliche Lösung dieser heillosen Verwirrungen wichtiger als die Frage, ob und wann wir die erste Filmreportage über den Mondflug zu sehen bekämen? Selbstverständlich war das wichtiger.

Als wir sahen, wie andere ihre Probleme durch simples Vertrauen auf den Geist dieses Universums lösten, mußten wir aufhören, die Allmacht Gottes zu bezweifeln. Unsere eigenen Ideen hatten versagt, der Gottesgedanke jedoch nicht.

Der fast kindliche Glaube der Wright-Brüder, eine Maschine bauen zu können, die fliegt, war die Antriebskraft für das Gelingen. Ohne diesen Glauben wäre nichts geschehen. Wir Agnostiker und Atheisten hielten an der Idee fest, daß Selbstvertrauen [self-sufficiency] unsere Probleme lösen könnte. Als uns andere zeigten, daß Gottvertrauen [God- sufficiency] in ihnen wirkte, kamen wir uns wie jene Leute vor, die darauf bestanden hatten, daß die Wrights nie fliegen würden.

Logik ist eine große Sache, uns gefiel sie und gefällt sie noch. Nicht zufällig wurde uns die Kraft gegeben, logisch zu denken, die Kraft, die Wahrnehmung unserer Sinne zu überprüfen und Schlüsse zu ziehen. Das ist eine der großartigsten menschlichen Eigenschaften, [die ihn vom Tier abhebt]. Wir agnostisch Orientierten waren nicht zufrieden mit einer Lehre, die sich nicht logisch herleiten und interpretieren läßt. Wir haben deshalb Schwierigkeiten zu erklären, warum wir unseren jetzigen Glauben für vernünftig halten, warum wir es für vernunftgemäßer und logischer ansehen, zu glauben als nicht zu glauben, warum wir sagen, daß unser früheres Denken unklar und verwaschen war, als wir unsere Hände im Zweifel erhoben und riefen: "Wir wissen es nicht."

Als wir zu Alkoholikern wurden, am Boden zerstört durch eine selbst herbeigeführte Krise, die wir nicht hinauszögern und der wir nicht ausweichen konnten, mußten wir uns furchtlos der Frage stellen, ob Gott alles ist oder ob Er nichts ist. Es gibt einen Gott, oder es gibt keinen. Welche Wahl sollten wir treffen?

An diesem Punkt angekommen, wurden wir unausweichlich vor die Glaubensfrage gestellt. Wir konnten uns an der Frage nicht mehr vorbeimogeln. Einige von uns waren bereits auf der Brücke der Vernunft sehr weit dem ersehnten Ufer des Glaubens entgegengegangen. Die Umrisse und die Verheißung des Neuen Landes brachten Glanz in müde Augen und frischen Mut in zittrige Geister. Freundliche Hände streckten sich zum Willkommen entgegen. Wir waren dankbar, daß uns die Vernunft [reasoning] so weit geführt hatte. Aber irgendwie zögerten wir noch, das Ufer zu betreten. Wahrscheinlich hatten wir uns auf dieser letzten Meile zu sehr auf die Vernunft [reasoning] verlassen und wollten nur ungern diese Stütze aufgeben.

Das war nur natürlich. Wir wollten etwas genauer darüber nachdenken. Waren wir nicht unbewußt durch eine bestimmte Art von Glauben [faith] dorthin gebracht worden, wo wir jetzt standen? Glaubten wir denn nicht an unsere eigene Vernunft [reasoning]? Hatten wir kein Vertrauen [faith] in unsere Fähigkeit zu denken? War das nicht eine Art Glauben [faith]? Ja, wir waren gläubig, kniefällig vor dem Götzen der Vernunft [god of reasoning]. Wie auch immer, wir entdeckten, daß der Glaube zu allen Zeiten Bestandteil unseres Lebens gewesen war!

Wir entdeckten auch, daß wir Götzendiener [worshippers] gewesen waren. Und was für eine intellektuelle Gänsehaut uns das beschert hatte! Hatten wir nicht so oder so Menschen, Gefühle, Dinge, Geld und uns selbst angebetet [worshipped]? Und dann aus edlerem Beweggrund heraus den Sonnenuntergang, die See oder eine Blume andächtig [worshipfully] betrachtet? Wer von uns hatte nicht irgend etwas oder irgend jemanden geliebt? Was hatten diese Gefühle, diese Liebe, diese Anbetung [worship] mit reiner Vernunft [pure reason] zu tun? Wenig oder nichts, wie wir endlich einsahen. War das alles nicht der Stoff, aus dem unser Leben geschneidert war? Bestimmten diese Gefühle schließlich nicht die Richtung unseres Daseins? Man konnte unmöglich sagen, wir hätten keine Fähigkeit zum Glauben [faith], zur Liebe und zur Verehrung [worship]. In dieser oder jener Form war unser Leben stets auf Vertrauen [faith] begründet und kaum auf etwas anderes.

Stellen Sie sich ein Leben ohne Glauben vor! Gäbe es nur die reine Vernunft, wäre das kein Leben. Aber natürlich glaubten wir an das Leben. Es war da, obgleich wir es nicht in dem Sinn beweisen konnten, wie man beweisen kann, daß die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten die Gerade ist. Konnten wir immer noch sagen, daß alles nichts war als eine Anhäufung von Elektronen, aus dem Nichts entstanden, ohne Bedeutung, auf dem Weg ins Nichts? Natürlich konnten wir das nicht sagen. Selbst die Elektronen scheinen es besser zu wissen, jedenfalls nach Meinung der Chemiker.

Also sahen wir, daß die Vernunft [reason] nicht alles ist. Außerdem ist der Verstand [reason], wie er von den meisten von uns benutzt wird, völlig [von den Umständen] abhängig, auch wenn er in den besten Köpfen steckt. Wie war das noch mit den Menschen, die bewiesen hatten, daß der Mensch nie fliegen kann?

Wir jedoch sahen eine andere Art von Höhenflug, nämlich eine spirituelle Befreiung von dieser Welt. Wir sahen Menschen, die über ihre Probleme hinauswuchsen. Sie sagten, Gott habe diese Dinge möglich gemacht, und wir lächelten nur. Wir hatten spirituelle Befreiung [spiritual release] gesehen, wollten uns aber einreden, es sei nicht wahr.

In Wirklichkeit hielten wir uns selbst zum Narren, denn tief im Inneren eines jeden Mannes, einer jeden Frau und eines jeden Kindes steckt ein fundamentales Gottesbewußtsein. Es mag durch Elend, Prunk oder Anbetung [worship] anderer Dinge verdeckt sein, aber in irgendeiner Form ist es vorhanden. Denn der Glaube [faith] an eine Kraft, größer als unser Ich, und das wunderbare Wirken [miraculous demonstration] dieser Kraft im menschlichen Leben sind Tatsachen, die so alt sind wie die Menschheit selbst.

Schließlich sahen wir ein, daß der Glaube an irgendeine Art von Gott ein Teil von uns selbst war, genauso wie das Gefühl, das wir einem Freund entgegenbringen. Manchmal mußten wir furchtlos nach Gott suchen, aber Er war da. Er war eine Realität [fact] wie wir. Wir sind sicher, daß du die große Wahrheit [Great Reality] tief in deinem Selbst finden wirst. Letzten Endes kann Er nur dort gefunden werden. So war das mit uns. Warum sollte es bei dir anders sein?

Wir können nur den Boden ein wenig für dich ebnen. Wenn unsere Aussage hilft, Vorurteile zu beseitigen, dich in die Lage versetzt, ehrlich zu denken, und dich dazu ermutigt, in deinem Inneren eifrig zu suchen, dann wirst du gemeinsam mit uns auf dem hellichten Höhenweg [Broad Highway] voranschreiten. Mit dieser Einstellung kannst du nicht fehlgehen. Das Bewußtsein, daß du glaubst, wird mit Sicherheit auf dich herabkommen.

In diesem Buch wirst du von den Erfahrungen eines Mannes lesen*, der dachte, er sei ein Atheist. Seine Geschichte ist so interessant, daß einiges davon jetzt erzählt werden sollte. Seine Herzensumwandlung war dramatisch, überzeugend und bewegend.

Unser Freund war der Sohn eines Geistlichen. Er besuchte eine konfessionelle Schule, wo er gegen das, was er als Übermaß an religiöser Erziehung empfand, rebellierte. Jahre danach wurde er von Kummer und Enttäuschung verfolgt. Geschäftliche Fehlschläge, Irrsinn, tödliche Krankheit, Selbstmord - diese Katastrophen in seinem engsten Familienkreis verbitterten und bedrückten ihn. Nachkriegsernüchterung, immer schwererer Alkoholismus, drohender geistiger und körperlicher Zusammenbruch brachten ihn an den Rand der Selbstzerstörung.

Eines Nachts während eines Krankenhausaufenthaltes kam ein Alkoholiker auf ihn zu, der ein spirituelles Erlebnis gehabt hatte. Aus unserem Freund brach es erbittert hervor: "Wenn es einen Gott gibt, so hat er bestimmt nichts für mich getan!" Aber später, als der Patient wieder allein in seinem Zimmer war, stellte er sich die Frage: "Ist es möglich, daß all die gläubigen Menschen, die ich kannte, unrecht haben?" Während er über die Antwort nachgrübelte, fühlte er sich, als lebe er in der Hölle. Dann, wie ein Donnerschlag, kam ihm ein großartiger Gedanke. Er verdrängte alles andere.

"Wer bist du, daß du zu behaupten wagst, es gibt keinen Gott?"

Dieser Mann erzählt, daß er aus dem Bett taumelte und auf die Knie fiel. Unmittelbar darauf war er von der Überzeugung überwältigt, daß Gott gegenwärtig ist. Mit der Gewalt einer großen Flutwelle strömte es über ihn und durch ihn hindurch. Die Barrieren, die er im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, wurden hinweggeschwemmt. Er stand in der Gegenwart unendlicher Kraft und Liebe. Er war von der Brücke aufs Ufer getreten. Zum ersten Mal lebte er in bewußter Gemeinschaft mit seinem Schöpfer.

Damit war der Grundstein für unseren Freund gelegt. Auch spätere Erschütterungen konnten ihm nichts anhaben. Sein Alkoholproblem war von ihm genommen. Es verschwand eben in dieser Nacht vor drei Jahren. Von wenigen Augenblicken der Versuchung abgesehen, ist bei ihm der Gedanke an Alkohol nie wieder aufgetaucht, und dann überkam ihn jedesmal ein großer Widerwille. Offensichtlich konnte er nicht trinken, auch wenn er gewollt hätte. Gott hatte ihn zur geistigen Gesundheit [sanity] zurückgebracht [restored].

Wenn das nicht eine Wunderheilung ist! Eigentlich war es ganz einfach. Die Umstände hatten ihn willig gemacht zu glauben. Demütig vertraute er sich seinem Schöpfer an - und da wußte er es. Genau so (auf diese Weise) hat Gott auch uns allen geistige Gesundheit [right minds - richtiges Denken] wiedergegeben [restored]. Diesem Mann kam die Erleuchtung [Revelation - Offenbarung] plötzlich. Einige von uns wachsen langsamer da hinein. Aber ER ist zu allen gekommen, die IHN ehrlich suchten.

Dränge dich nahe zu IHM hin, und ER wird sich dir offenbaren!

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Stand: 27. Juni 1997